2005-10-24

Kretinismus

Am 20. Juli 1933 kam es zum Abschluß des Reichskonkordats zwischen dem Vatikan und der Hitler-Regierung, in dem festgeschrieben wurde, dass die katholische Kirche berechtigt sei, in Deutschland Steuern zu erheben. Dabei ist es, ungeachtet der fragwürdigen historischen Wurzeln, seitdem geblieben. Ein solches Gesetz wäre in den USA verfassungswidrig, denn die strikte Trennung von Staat und Religion gilt hier als ein wichtiges Fundament der Gesellschaft.

Vielleicht ist es gerade weil der Staat sich aus der Religion heraushält, dass Amerikaner weniger Bedenken als Deutsche haben, sich offen zu ihrer Gläubigkeit zu bekennen. Und so lässt es sich auch kaum ein amerikanischer Politiker nehmen, bei der Wählerschaft mit religiösen Referenzen zu punkten. Das schließt auch und besonders die ein, von denen man es vielleicht nicht erwartet hätte:
"By the grace of God and your help, last year I was elected President."
— Bill Clinton, Church of God in Christ, Memphis, Tennessee, November 1993

Aufgrund der Trennung von Staat und Religion, gibt es an öffentlichen Schulen in den USA keinen Religionsunterricht. Vielleicht wäre es besser ihn einzuführen, denn dann gäbe es wohl weniger Bestrebungen stattdessen den Biologieunterricht zu unterwandern. Dort soll Religiöses zur Zeit unter dem schmissigen Begriff intelligentes Design in den Schulunterricht geschmuggelt werden, nachdem es vorher wenig erfolgreich unter der Flagge Kreationismus firmierte. Dieser Kulturkampf beschäftigt zur Zeit Gerichte in einigen Bundesstaaten. So prangt in Alabama zur Zeit auf Biologiebüchern ein Aufkleber mit der Aufschrift (Auszug)
Jedwede Aussage über den Ursprung des Lebens sollte als Theory angesehen werden, nicht als Tatsache.

Wissenschaft beschäftigt sich mit Theorien? Zu dieser bahnbrechenden Erkenntnis möchte man den Autor herzlich beglückwünschen, stünde nicht eigentlich etwas ganz anderes auf der Agenda dieser Leute, nämlich intelligentes Design als wissenschaftliche Theorie zu verkaufen. Ganz so weit hat es dann mit dem Verständnis dessen, was Wissenschaft ausmacht, wohl doch nicht gereicht.

Was macht eine Theorie wissenschaftlich akzeptabel? Lange Zeit haben sich Philosophen über diese Frage den Kopf zerbrochen. Inzwischen besteht Einigkeit darüber, dass die Falsifizierbarkeit einer Theorie eine notwendige Bedingung ist. Wenn zum Beispiel aus einer Theorie folgt, dass ein Gegenstand, den ich loslasse, auf die Erde fallen müsste, so ist klar, dass die Theorie falsch ist, wenn er stattdessen in die Luft schwebt. Mit anderen Worten, man kann feststellen, ob die Theorie falsch ist, das heißt, sie ist falsifizierbar.

Die Kernaussage des Kreationismus lautet, dass das Universum zu komplex sei, um ohne den lenkenden Eingriff eines Schöpfers entstanden zu sein. Das mag zwar sein, aber wie wäre eine solche Aussage zu falsifizieren? Welche Beobachtung könnte diese Behauptung widerlegen, wenn sie nicht wahr wäre? Rein garnichts. Damit ist Kreationismus als das entlarvt, was er ist: ein pseudowissenschaftlich verbrämtes, religiöses Gedankengebäude, das im Biologieunterricht nichts verloren hat. In God We Trust ("Wir vertrauen auf Gott", der Sinnspruch auf US Banknoten - wie war das mit der Trennung von Kirche und Staat?), kann man auch noch mit Überzeugung sagen, wenn man das verstanden hat, denn religiöser Glaube und solide Wissenschaft schliessen einander ja nicht aus.

Wer übrigens glaubt, das alles hätte in Deutschland keine Chance, der sollte sich lieber nicht so sicher sein.

8 comments:

Anonymous said...

Ja, der Popper und sein kritischer Rationalismus - genial! Dumm, daß sich die Krationisten (wie auch die Anhänger des Alienismus) sich nicht an die Spielregeln des Wisschenschaftsbetriebes halten bzw. diese dort, wo dienlich, für sich ausnützen, z.B. indem sie die Evolution als Theorie und nicht als abgeschlossen erklären sowie einzelne Hypothesen widerlegen. Nein, so kommt man gegen dieses Gespenst der Gegenaufklärung nicht an. Wir könnten diese Leute aber an dem packen, woran sie glauben: ihren Glauben. Dieser will ohne Glauben geglaubt werden - jeder Beweiß für einen Intelligent Designer bzw. Gott würde diesen widerlegen. Da die Schöpfung nach Meinung der Kreationisten viel zu komplex ist, als daß diese durch Zufall entstanden sein könnte und dies als Beweis selbst heranziehen, um ihren Glauben zu untermauern, widerlegen sie diesen damit selbst. Ganz einfach. Auf diese Weise würde ich die Diskussion mit diesen Menschen führen.

Ludger said...

Diese Argumentation scheint mir nicht stichhaltig. Um im Bezugssystem zu argumentieren: gemaess der Bibel "verloren" die Apostel ihren Glauben an die Auferstehung Jesu, indem dieser Glaube durch Gewissheit ersetzt wurde. Damit wurde der Gegenstand des Glaubens allerdings nicht widerlegt, auch wenn die dem Glauben immanente Ungewissheit nun nicht mehr gegeben war.

Anonymous said...

@ludger: Ich wollte auch nicht stichhaltig mit mit dem Inhalt meiner versuchten Widerlegung sein - dafür kenne ich mich zu wenig mit der Bibel (also tief gehend) aus. Ich wollte nur einen Weg aufweisen, wie man eine Widerlegung führen könnte, in dem man Leute einfach "dort abholt wo sie stehen", dabei weniger inhaltlich sondern bezogen auf die Art und Weise ihres Denkens.

Anonymous said...

Zur Kirchensteuer: Es ist ein weit verbreiteter und hartnäckiger Irrtum, dass diese durch das Reichskonkordat eingeführt worden sei. Dem ist aber nicht so; wie der angehängte Link auch zeigt, wurde in diesem lediglich die Weiterführung der Kirchensteuer, wie sie 1919 von der Weimarer Republik geschaffen worden war, festgelegt. Ab 1943 waren die Kirchen sogar gezwungen, die Steuer selbst einzutreiben, weil der Staat das nicht mehr gewährleisten wollte. Siehe auch Kirchensteuer bei Wikipedia.

Ludger said...

Der Text des Konkordats (siehe Link im Blog) sagt "Es besteht Einverstaendnis darueber, dass das Recht der Kirche, Steuern zu erheben, gewaehrleistet bleibt." Das laesst in der Tat darauf schliessen, dass das vorher schon so war. Daher hatte ich bewusst vage formuliert "es wurde festgeschrieben". Vielen Dank jedenfalls fuer die Klaerung!

ShePilotDiaries said...
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ShePilotDiaries said...

Ich lese zufällig grad K.Poppers Buch "Alles Leben ist Problemlösen". Eine meiner Lieblingstellen darin lautet:"Der Wissenschaftler arbeitet, wie alle Organismen, mit der Methode von Versuch und Irrtum. Der Versuch ist eine Problemlösung. Der Irrtum, oder genauer die Irrtumskorrektur, ist in der Evolution des Pflanzen- und Tierreichs gewöhnlich die Ausmerzung des Organismus; in der Wissenschaft die Ausmerzung der Hypothese oder Theorie." und weiter "..so ist das eigentliche wissenschaftliche Vorgehen im Prinzip nichts Anderes als das einer Amöbe.."

Ludger said...

Ich hatte Popper absichtlich nicht namentlich genannt, aber Du und Wilhelm seid mir trotzdem auf die Schliche gekommen. :-)